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Italien

Italien ist ein Land, in dem Asyl und Migration, im Vergleich zu anderen alten europäischen Demokratien, ein relativ neues Thema ist. Es ist kein Zufall, dass bis in die Jahre 1999/2000 der normative Rahmen in diesem Bereich ohne besondere Rücksicht auf ‚nicht-traditionelle’ Gründe der Verfolgung, einschließlich SOGI, fragmentiert war. Dies scheint sogar noch überraschender angesichts des garantierten Schutzes, der durch Artikel 10.3 der italienischen Verfassung gewährt wird – ‚Recht auf Asyl‘.

Mindestens zwei Faktoren drängten Italien zu einer umfassenden Reform im Bereich Asyl und Migration. Erstens, Italien ist zunehmend zu einem Zielland von Asylbewerber*innen geworden und nicht nur als Ort des Transits zu den nordeuropäischen Ländern. Zweitens, als Mitglied der Europäischen Union wurden in Italien neue Regeln zum Asylmindeststandard eingeführt, und Italien wurde vom EU-Gesetzgeber, nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam, zur Umsetzung verpflichtet.

Aus diesen Gründen hat Italien eine angemessene Berücksichtigung von SOGI Asylbewerber*innen erst in den letzten Jahren geleistet. Während dieser Schutz als noch nicht ausreichend erachtet werden kann, ist er trotzdessen durch die Notwendigkeit, die Gemeinsamen Europäischen Asylsysteme (GEAS) anzuwenden, beeinflusst. Es scheint in der Tat so, dass je höher die EU-Standards zum Schutz in diesem Bereich sind, desto größer ist auch die Aufmerksamkeit der italienischen Behörden gegenüber SOGI Asylbewerber*innen und Geflüchteten. Gleichzeitig, da der Ermessungsgrundsatz den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen wurde, zur Ratifizierung der 1951 abgeleiteten Verpflichtungen der Genfer Konvention über den Status der Flüchtlinge und die meisten der universelle Menschenrechtsverträgen des CoE, unterhält Italien eine gewisse Autonomie in der Asylfrage. Italien kann daher „autonom“ ein höheres Schutzniveau für alle Asylbewerber*innen erreichen, einschließlich derer, die ihre Ansprüche auf SOGI stützen. Es ist aber auch Gegenstand, dass einige grundlegende Schutzstandards bei weitem noch nicht wirksam sind, was massive Migrationsströme in den letzten Jahren gezeigt haben.

Die allgemeine Erfahrung Italiens in Bezug auf Asylbewerber*innen wird durch eine bestimmte aktive Rolle des Justizapparates gekennzeichnet, um die vorhandenen Sicherheitslücken zu schließen, dies gilt umso mehr für SOGI Anträge. Im Umgang mit einigen SOGI Fällen haben inländische Richter die italienischen Rechtsvorschriften und internationalen Verpflichtungen im Einklang mit der UNHCR-SOGI Richtlinie verstanden. Wir beziehen uns nicht ausschließlich auf den proaktiven Ansatz aller italienischen Behörden, Informationen zur Bestätigung der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers zu erheben, sondern auch auf die Auslegung der Flüchtlingsdefinition, wenn SOGI beteiligt ist. Ein lehrreiches Beispiel dafür wurde vom italienischen Supreme Court angesichts der Frage der Art und Weise von Kriminalisierung Homosexueller, oder gleichgeschlechtlicher sexueller Aktivitäten in den Herkunftsländern in Betracht gezogen.

Unterstützt durch eine zunehmende günstige Auslegung der Vorinstanzen bestätigte das italienische Kassationsgericht im Jahr 2012, dass die Aufrechterhaltung  strafrechtlicher Sanktionen dieser Art das „Grundrecht frei zu leben, sexuelles und emotionales Leben“ behindert, sowie einen schwerwiegenden Eingriff ins Privatleben darstellt. Das leitet zur Frage hin, ob dieser Teil des Strafgesetzbuches tatsächlich angewendet wird, oder zumindest nicht irrelevant ist, da die Existenz eines solchen Verbrechens Menschen in „eine objektive Situation der Verfolgung“ drängt (Kassationsgericht, 20. September 2012, Nr. 15981). Sogar weitergehend als die „EU-Mindeststandards“, wie im Fall X, Y und Z EUGH-Urteil bestätigt,  zeigt sich die Vitalität des italienischen Systems zur Ausarbeitung von praktischen und günstigen Lösungen für SOGI Anträge. Eine ähnliche Entwicklung hat sich als grundlegend erwiesen, um die Zulassungsbehörden zu leiten, etwa der ‚territorialen Kommission zur Beurteilung des Flüchtlingsstatus’ zur gerechten Behandlung von SOGI Asylanträgen.

Bezogen auf die Aufnahme und soziale Integration von Asylbewerber*innen, scheint die italienische Erfahrung in Bezug auf SOGI Geflüchteten selbst auf legislativer Ebene weniger klar und konsequent zu sein. Dieser Zustand scheint zwar mit den allgemeineren Schwierigkeiten des gesamten Systems im Land übereinzustimmen, das vor kurzem durch Massenmigrationsflüsse entstanden ist, doch wurde noch nie eine nationale Strategie in diesem Bereich ausgearbeitet oder angenommen. Diese Lücke wurde durch die Rolle der Zivilgesellschaft und nicht-institutionellen Einheiten übernommen. Neue konkrete Projekte für die Aufnahme und soziale Integration von SOGI Asylbewerber*innen und Geflüchteten wurden von LGBTI Verbänden erarbeitet, was zu wichtigen Entwicklungen in diesem Bereich führen kann. Allgemein sollte jedoch betont werden, dass die Integration von SOGI Geflüchteten direkt mit der allgemeinen Akzeptanz gegenüber sexueller Minderheitenrechte in der italienischen Gesellschaft verbunden zu sein scheint. Durch die Spaltung zwischen sozialer Realität und Gesetz gerät Italien in eine eigentümliche und ungünstige Position, im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien, was auch auf europäischer Ebene bemerkt wurde (siehe EGMR, Oliari and Others v. Italy, 21. Juli 2015).

Das ist auch der Grund dafür, dass das SOGICA Projekt während seiner gesamten Dauer ein beträchtliches Gewicht auf die Rolle aller institutionellen und nicht-institutionellen, sozialen und rechtlichen Akteure und Faktoren legen wird. Dieser Ansatz wird zur Definition von politischen Empfehlungen beitragen, um SOGI Asylbewerber*innen und Gefluechtete gerecht zu behandeln und ihre Menschenrechte zu respektieren.

Möchten Sie mehr über Italien erfahren? Bitte konsultieren Sie die SOGICA Datenbank. Dort finden Sie auch eine Tabelle zur italienischen Rechtsprechung