VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.03.2013 – A 9 S 1873/12 (Germany)
- Category: Case Law
- Source: National Authorities
- Subject: Sexual Orientation/Sexuality, Refugee/Asylum, Human Rights, LGBT+
- Place: Germany
- Year: 2013
- File: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.03.2013 - A 9 S 1873-12
- URL: http://www.asyl.net/index.php?id=114&tx_ttnews%5Btt_news%5D=47709&tx_ttnews%5BbackPid%5D=10&cHash=9faa237e55966cac8843c9f092a2115a
VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.03.2013 – A 9 S 1873/12 (Germany)
Leitsatz:
1. Homosexuelle bilden in Nigeria eine “soziale Gruppe” im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG.
2. Auch öffentlich bemerkbare homosexuelle Verhaltensweisen sind nicht grundsätzlich vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG ausgenommen.
3. Allerdings unterliegen Homosexuelle in Nigeria nach derzeitiger Erkenntnislage keiner Gruppenverfolgung. Deshalb bedarf es in jedem Einzelfall, in dem ein Antragsteller geltend macht, er werde wegen seiner sexuellen Ausrichtung verfolgt, einer Gesamtwürdigung seiner Person und seines gesellschaftlichen Lebens und darauf aufbauend einer individuellen Gefahrenprognose.
a) Zu prüfen ist dabei, wie sich der einzelne Schutzsuchende bei seiner Rückkehr im Hinblick auf seine sexuelle Ausrichtung verhalten wird und wie wichtig diese Verhaltensweise für seine Identität ist.
b) Nicht beachtlich ist, ob er mit Rücksicht auf drohende Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 RL 2004/83/EG auf das behauptete Verhalten verzichten würde. Erst recht darf nicht angenommen werden, dass ein Schutzsuchender nur dann tatsächlich von einer Verfolgung bedroht ist, wenn er sich trotz der drohenden Verfolgungshandlung in dieser Weise verhalten würde und praktisch bereit wäre, für seine sexuelle Orientierung Verfolgung auf sich zu nehmen. Würde er jedoch aus nicht unter Art. 9 RL 2004/83/EG fallenden Gründen – etwa aus persönlichen Motiven oder aufgrund familiären oder sozialen Drucks oder Rücksichtnahmen – ein bestimmtes Verhalten im Herkunftsland nicht ausüben, ist ein solcher Verhaltensverzicht zu berücksichtigen.
c) Je mehr ein Schutzsuchender mit seiner sexuellen Ausrichtung in die Öffentlichkeit tritt und je wichtiger dieses Verhalten für seine Identität ist, desto mehr erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass er verfolgt werden wird.
(Amtliche Leitsätze)
1. Homosexuelle bilden in Nigeria eine “soziale Gruppe” im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG.
2. Auch öffentlich bemerkbare homosexuelle Verhaltensweisen sind nicht grundsätzlich vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 Buchst. d RL 2004/83/EG ausgenommen.
3. Allerdings unterliegen Homosexuelle in Nigeria nach derzeitiger Erkenntnislage keiner Gruppenverfolgung. Deshalb bedarf es in jedem Einzelfall, in dem ein Antragsteller geltend macht, er werde wegen seiner sexuellen Ausrichtung verfolgt, einer Gesamtwürdigung seiner Person und seines gesellschaftlichen Lebens und darauf aufbauend einer individuellen Gefahrenprognose.
a) Zu prüfen ist dabei, wie sich der einzelne Schutzsuchende bei seiner Rückkehr im Hinblick auf seine sexuelle Ausrichtung verhalten wird und wie wichtig diese Verhaltensweise für seine Identität ist.
b) Nicht beachtlich ist, ob er mit Rücksicht auf drohende Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 RL 2004/83/EG auf das behauptete Verhalten verzichten würde. Erst recht darf nicht angenommen werden, dass ein Schutzsuchender nur dann tatsächlich von einer Verfolgung bedroht ist, wenn er sich trotz der drohenden Verfolgungshandlung in dieser Weise verhalten würde und praktisch bereit wäre, für seine sexuelle Orientierung Verfolgung auf sich zu nehmen. Würde er jedoch aus nicht unter Art. 9 RL 2004/83/EG fallenden Gründen – etwa aus persönlichen Motiven oder aufgrund familiären oder sozialen Drucks oder Rücksichtnahmen – ein bestimmtes Verhalten im Herkunftsland nicht ausüben, ist ein solcher Verhaltensverzicht zu berücksichtigen.
c) Je mehr ein Schutzsuchender mit seiner sexuellen Ausrichtung in die Öffentlichkeit tritt und je wichtiger dieses Verhalten für seine Identität ist, desto mehr erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass er verfolgt werden wird.
(Amtliche Leitsätze)